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Dietmar Wischmeyer

Der Fotokopierer

Meine Name ist Dietmar Wischmeyer und dies ist das Logbuch einer Reise durch das Land der Bekloppten und Bescheuerten. Hier ist mein Bericht.

Spätsommer 1945. Japanische Kriegsgeneräle stehen auf dem Dach ihres Führerbunkers in den unzugänglichen Bergwäldern des Fudschijama und sehen zwei riesige Rauchpilze am Himmel. Sie blicken sich an und wissen: Der Krieg ist verloren. Noch in dieser Nacht fassen sie einen Entschluss: Sie und die Generation ihrer Söhne werden sich rächen an der westlichen Zivilisation, sie werden Millionen von Menschen zu willenlosen Sklaven ihrer Vergeltungswaffen machen.
Fast 50 Jahre später. Ich stehe an einem elektronischen Müllberg aus gelblich-weißem Plastik, der den Namen eines japanischen Berges trägt. Irgendeine außerirdische Stimme hatte vor Jahren allen Büromenschen eingeredet, dass jeder überflüssige Verlautbarungsfurz fotokopiert werden muss, bevor Original und Kopie zusammen in den Aktenvernichter wandern. So stehe ich also willenlos vor der japanischen V2, um das alltägliche Ritual der Bekloppten und Bescheuerten der Bürötagen am Gerät zu vollziehen. Doch anstatt in geziemender Unterwürfigkeit die Kopie anzufertigen, grinst eine LCD-Hieroglyphe aus dem feisten Display des Japaners. Was will mir die rätselhafte Botschaft aus dem Land des Lächelns mitteilen? "Fick dich ins Knie, du europäisches Loser-Arschloch." Ich habe keine Ahnung, denn im Umkreis von 100km ist keine Dechiffriertabelle für Fotokopierhieroglyphen auffindbar. Wahrscheinlich wird die einzig vorhandene im Tresor des japanischen Kopierministeriums aufbewahrt oder hängt als flüchtig getuschtes Aquarell im Shintoschrein von Kyoto. Nun gut. ich tue das, was jeder andere zivilisierte Europäer an meiner Stelle auch getan hätte: Ich trete mit dem rechten Fuß in die weiche Plastikflanke der widerborstigen Kanaille. Ergebnis: Natürlich keine Kopie, sondern das Erscheinen eines weiteren Blinkbefehis: Ein Dreieck mit einem winzigen Spermatropfen. Japaner. Du bist eine perverse Sau. Dennoch, was soll das Porno-Piktogramm an einem Fotokopiergerät. Glauben die Nipponkerle, deutsche Bürohengste onanieren sich das Hirn aus dem Schädel, wenn ein versautes Lämpchen blinkt? Ich will zum zweiten Mal zutreten. Aus einem Büro nebenan höre ich: "Das ist Fehler 107, das hat der öfter, da müssen Sie mit dem Fuß gegen den Papiereinzug treten." Sieh an! Na, dann komm her, du mieser kleiner Papiereinzug, der Onkel verpasst dir jetzt mal eine gehörige Abreibung. Krach Zabong. Zersplittertes Rauchplastik bohrt sich durch meine Arztsocke und wird Ausgangspunkt eines lustigen Eiterherdes, der mir in den kommenden Wochen noch viel Freude bereiten soll. Fehler 107 hingegen erfreut sich weiterhin bester Gesundheit. Die renitente Kopierer-Drecksau grinst mir aus mittlerweile fünf Blinklichtern entgegen. Nach der stilisierten Onaniervorlage für impotente Computerkids leuchten jetzt zusätzlich: B4, eine Art Kühlergrill und ein amputierter Violinschlüssel. Schluss jetzt. Wird eben nicht kopiert. Ich bücke mich, um das eiternde Schienbein notdürftig mit etwas DIN A 4 zu verarzten, und verlasse den fernöstlichen Kriegsschauplatz als gebrochener Mann. Später stellte sich heraus, dass der vereiterte Wundverband am Bein die beabsichtigte Fotokopie war, die das Miststück irgendwann heimlich ausgeschissen haben musste, und dass ich das Original - einen funkelnagelneuen Tausendmarkschein - im Fotokopierer vergessen hatte. Ich fühlte mich wie ein Delphin in der Bucht von Tokio.

(abgetippt von Thomas Bunz)