Text entnommen aus c't 4/97, siehe Literaturverzeichnis

Ralf Hüskes

Bastelwerkstatt

Netscapes K(r)ampf um HTML

Bereits mit der Version 1.1 des Navigator versuchte Netscape, die Internet-Gemeinde durch proprietäre HTML-Erweiterungen für sich zu gewinnen. Nun, da die Marktanteile schwinden, setzt der Hersteller abermals auf seine erprobte und gleichermaßen umstrittene Wettbewerbstaktik.

Bereits 1995, als Microsoft das Internet noch als einen Haufen unverbesserlicher und vor allem kommerzfeindlicher Intellektueller begriff, arbeitete Netscape daran, das Netz der Netze für sich einzunehmen. Der Erfolg der Bemühungen kann sich sehen lassen. Mit zwischenzeitlich 80 Prozent Marktanteil bei den Browsern hatte Netscape beinahe das Monopol inne was die Client-Software für das World Wide Web betraf.

Netscapes Taktik hat sich derweil kaum verändert: Man nehme einige Internet-Standards, 'veredele' sie in Windeseile mit ein paar 'hippen' Erweiterungen und bringe die Produkte ein paar Wochen vor den Mitbewerbern auf den Markt. Die meisten Web-Entwickler sind durch den mageren HTML-Standard dermaßen ausgehungert, daß sie sich auf jedes halbgare Spezifikations-Häppchen stürzen. Zweitrangig scheint dabei zu sein, ob die hastig erdachten 'Quickhacks' ausgereift, ausbaufähig oder sonstwie von dauerhafter Qualität sind.

Und so hat Netscapes Sündenregister bezüglich HTML bereits eine stattliche Länge erreicht. Zu Anfang waren es zusätzliche Schriftattribute wie Fontgröße und Fontfarbe, die Netscape einführte. Daß die HTML-Programmierer dies sofort benutzten, war selbstverständlich. Denn bis dato ließ sich die Schriftgröße innerhalb einer HTML-Datei lediglich über den Befehl für Überschriften modifizieren. Doch der bezog sich ausschließlich auf komplette Absätze und bot keinerlei Kontrolle darüber, für welche Schriftgröße sich der Browser letztendlich entschied.

Erbsünde

So war es denn auch ein sehr löbliches Unterfangen, daß Netscape dieses Problem anging. Kritikwürdig ist jedoch der Ansatz, der dafür gewählt wurde: Man führte zusätzliche Befehle ein, mit denen sich die Attribute direkt in der HTML-Datei angeben ließen.

Ursprünglich wurde HTML jedoch nicht als Layout-Standard erdacht, sondern zur inhaltlichen Gliederung von Textdokumenten, ähnlich wie es über die Absatzvorlagen einer Textverarbeitung möglich ist. Zur Spezifikation des Layouts hatte das W3-Konsortium bereits seit längerer Zeit ein Konzept namens Cascading Style Sheets [2] in der Schublade, das eine klare Trennung von Layout und Darstellungsattributen (wie Schriftart, Schriftgröße, Absatzeinzüge und ähnliches) ermöglicht. Der offizielle Ansatz war damit gleichermaßen ausbaufähiger und leistungsfähiger als Netscapes Quickhack.

Mit den Frames führte Netscape einen weiteren HTML-Aufsatz ein. So wurde es möglich, das Fenster des Web-Browsers in mehrere unabhängige Bereiche aufzuteilen, die eigenständige HTML-Seiten enthielten. Auch diese Erweiterung erfreut sich großer Beliebtheit bei den Web-Designern, bietet sie doch die Möglichkeit, Inhaltsverzeichnisse, Firmenlogos und Werbegrafiken fix auf dem Bildschirm zu plazieren, so daß sie sich beim Blättern innerhalb des Hauptbereichs nicht wegbewegen.

Schwachstellen

Doch auch dieses Konzept ist nicht ausgereift. Man stelle sich beispielsweise ein mehrseitiges Handbuch vor, das am linken Rand das Inhaltsverzeichnis mit den Kapiteln enthält und rechts daneben den Haupttext. Klickt der Anwender auf das gewünschte Kapitel, so erscheint im rechten Teilfenster der zugehörige Text. Der Anwender kann jedoch weder ein Bookmark für die gefundene Seitenkonstellation ablegen, noch einen Link darauf in seine Homepage aufnehmen, da die URL der Frame-Seite auf die Ausgangskonstellation des Frameset verweist.

Das Durcheinander vor Augen, ist Netscape auf dem eigenen Web-Server mittlerweile dazu übergegangen, nicht mehr nur Teilseiten eines Frames auszutauschen, sondern stets den gesamten Frameset. So lassen sich zumindest Bookmarks und Links auf die gewünschten Informationen setzen. Auf der anderen Seite führt diese Technik jedoch zu einem deutlichen 'ruckeln' im Browserfenster weil eben die komplette Seite ausgetauscht wird.

Mancher Frame-Protagonist predigt diesen umständlichen Umgang mit Frame-Dokumenten mittlerweile als die reine Lehre und schiebt die Schuld an der unausgereiften Frame-Technik damit von Netscape auf die Web-Entwickler. Doch Netscape hatte es ganz einfach versäumt, derartige Style-Guidelines mit der Einführung der Frames zu veröffentlichen.

Wiederholungstat

Mit der aktuellen Betaversion des Navigator baut Netscape nun abermals auf die erprobte Kampftaktik. Ein neues Konzept namens 'Layer' soll eine weitere Schwachstelle von HTML flicken [3]: Die Layers bündeln einzelne Abschnitte einer HTML-Seite in einem unsichtbaren Rahmen, der sich frei auf einer Seite positionieren läßt. Dabei dürfen sich die Rahmen gegenseitig überlappen und lassen sich per Skript-befehl sogar verschieben, ein- und ausblenden.

Auch dieses Feature mag wieder eine ganze Reihe Web-Designer verzücken. Bereiten ihnen doch die in HTML fehlenden Positionierungsmöglichkeiten für Elemente erhebliches Kopfzerbrechen, da sie das Layout von Web-Seiten stark einschränken. Doch auch diesmal scheint der Ansatz von Netscape fragwürdig. Wieder basiert das Konzept auf einer proprietären Lösung von Netscape, während das W3-Konsortium bereits seit einiger Zeit eine durchaus ernstzunehmende HTML-Erweiterung zur absoluten Positionierung von Layout-Elementen diskutiert. Und wieder wirft Netscapes Ansatz Layout und Dokumentstruktur in einen Topf. Dem W3-Konsortium hingegen liegt ein Vorschlag vor, der auf dem Konzept der Cascading Style Sheets aufsetzt [4].

'Gute' Gesellschaft

Was das Einführen proprietärer HTML-Erweiterungen betrifft, so steht Netscape freilich nicht alleine da. Microsoft hat Netscapes Taktik bereits mit dem Internet Explorer 2.0 aufgegriffen und beispielsweise Netscapes Font-Befehl für Fontgröße und Fontfarbe um ein zusätzliches Attribut für die Fontart erweitert. Und auch im Frame-Bereich hat Microsoft einige Erweiterungen ausgetüftelt.

Dennoch scheint Microsoft in letzter Zeit den Ideen des W3-Konsortiums eher aufgeschlossen gegenüber zu stehen - auch dann, wenn sie nicht von den eigenen Entwicklern dort eingereicht wurden. Bereits mit dem Internet Explorer 3.0 hat Microsoft das Konzept des Cascading Style Sheets übernommen, und die neuen Erweiterungen von Microsofts Trident [1] scheinen sich ebenfalls stark an den Diskussionen des W3-Konsortiums zu orientieren. Darüber hinaus hat es Microsoft bisher vermieden, offizielle Beta-Versionen von Trident unters Volk zu bringen und die Standardisierung so durch die Hintertür zu umgehen.

Microsofts kooperative Position bezüglich HTML hat derweil gute Gründe. Zu klein war der Marktanteil des Softwaregiganten im Browser-Markt, als daß man eigene Techniken hätte durchsetzen können. Durch eine gute Zusammenarbeit mit dem W3-Konsortium hingegen kann sich Microsoft einerseits als Promoter offener Standards feiern und Netscape andererseits den Schwarzen Peter in Sachen Eigenbrötlerei zuspielen.

Die Strategie scheint aufzugehen; Netscape mußte bereits in einem Punkt einlenken: Der Navigator 4.0 soll nun ebenfalls Cascading Style Sheets unterstützen. Was die Layer-Technik betrifft, so scheint Netscape jedoch nochmal aufs Ganze gehen zu wollen. Obwohl die Layer-Implementation in der aktuellen Betaversion des Navigator 4.0 noch lausig schlecht ist, rührt man auf dem eigenen Web-Server bereits kräftig die Werbetrommel dafür. Eine fortwährend aktualisierte Liste von HTML-Befehlen verrät, welche Bruchstücke der Technik in der gerade aktuellen Betaversion unterstützt werden. Und eine weitere Liste verweist auf Kunden, die erste Web-Seiten mit Layer-Erweiterung ausgestattet haben [3].

Fazit

Ob die Masse der Web-Designer Netscape nochmals folgen wird, bleibt derweil abzuwarten. Nach wie vor hat der Browser-Hersteller zwar noch die absolute Mehrheit im Markt, doch die schrumpft mehr und mehr zusammen. Mit jedem Prozentpunkt, den sich die Marktanteile der beiden Marktführer angleichen, nimmt die Hemmschwelle der Web-Designer zu, auf proprietäre Technik zu setzen - egal, ob sie von Netscape [oder] von Microsoft stammen.

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Literatur / URLs

  1. Ralf Hüskes, Knetbare Web-Seiten, Microsofts künftiges HTML, c't 3/97, S.72
  2. www.w3.org/pub/WWW/TR/PR-CSS1
  3. home.netscape.com/comprod/products/communicator/beta_features.html
  4. www.w3.org/pub/WWW/TR/WD-layout.html

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